Der rätselhafte „betende Knabe“
Der „betende Knabe“ ist eine rätselhafte, in vielen Kopien weit verbreitete Skulptur.
Um 1500 wurde auf der griechischen Insel Rhodos, beim Bau von Stadtmauern die Bronzestatue eines Knaben ohne Arme und ohne einen Teil des linken Fußes gefunden. Niemand wusste, wen die Figur darstellte. Man dachte zunächst wegen der weichen Körperformen an den jugendlichen Gott Apoll. Die erotische Ausstrahlung der Skulptur führte zu Vermutungen, es könnte sich um Ganymed handeln, den Zeus in den Olymp entführte oder um Antinoos, den Geliebten des römischen Kaisers Hadrian. Zumindest letztere Annahme ist heute widerlegt, da die Statue lange vor Hadrians Herrschaft hergestellt wurde, wie neuere Untersuchungen ergaben. Sie stammt aus der Zeit um 300 v. Chr., aus einer Bronzegießerei auf Rhodos. Keine der übrigen Deutungen hat sich beweisen lassen und auch die heute allgemein verbreitete Bezeichnung ist mit Vorsicht zu genießen, denn sie beruht im Wesentlichen auf der Interpretation der erhobenen Arme des Knaben. Diese wurden der Skulptur aber erst um 1700 angefügt. Man nimmt heute an, dass die Figur Teil einer größeren Gruppe war.
Die Originalstatue hatte verschiedene Besitzer, bevor sie 1747 vom preußischen König Friedrich II. gekauft und an exponierter Stelle auf der Weinbergterrasse des Schlosses Sanssouci aufgestellt wurde. Nach Friedrichs Tod 1786 kam sie in das Berliner Schloss der Hohenzollern und 1830 schließlich in das neu eröffnete Museum am Lustgarten, wo sie noch heute steht.
Zur Lebenszeit August Wredows war der „betende Knabe“ (oder „bittende Knabe“, wie es zeitgenössisch heißt) eine der berühmtesten antiken Skulpturen, die oft nachgeahmt wurde. So schuf auch Christian Daniel Rauch, bei dem Wredow seine Bildhauerausbildung begann, 1824 eine Bronzekopie der antiken Vorlage. Sieben Jahre später vollendete Wredow ein eigenes Modell des Knaben in Gips, das im Herbst 1832 in Berlin ausgestellt wurde.
Zunächst wollte niemand eine Marmorausführung des Modells haben. Erst 1839 fertigte Wredow eine Marmor-Fassung des „betenden Knaben“ an, um deren beabsichtigten Kauf durch das Alte Museum in Berlin es jedoch juristische Auseinandersetzungen gab. Der Verbleib dieser Statue ist deshalb noch ungeklärt. Ungeklärt ist auch, ob die hier gezeigte Bronzeskulptur des „betenden Knaben“ eine Kopie nach dem antiken Original oder nach Wredows Fassung ist.
Betender Knabe, nach einer antiken Vorlage, nach August Wredow (?), Höhe ohne Sockel: 71 cm, Bronzeguss der Firma H. Gladenbeck & Sohn, nach 1831.